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Keramikmuseum Westerwald
Deutsche Sammlung für Historische und Zeitgenössische Keramik
Lindenstraße 13
D - 56203 Höhr-Grenzhausen
Tel.: 0049 - (0) 2624 94 60 10
Fax: 0049 - (0) 2624 94 60 120

MUSEUMSLEITUNG: MONIKA GASS

13 Lindenstraße
Höhr-Grenzhausen, RP, 56203
Germany

0049 - (0) 2624 94 60 10

Die Sammlung

Der Anfang

Die ausgedehnten Tonvorkommen des Westerwaldes sind die größten zusammenhängenden Lagerstätten Europas. Es sind weltweit nur wenige Regionen bekannt, in denen Tone in vergleichbarer Quantität und Qualität vorkommen. Etwa 15 Sorten sind im Westerwald vorhanden, wobei der wertvolle weiße Ton auch als „weißes Gold“ bezeichnet wird. Denn nicht nur die Masse, sondern auch die Klasse ist außergewöhnlich. Der Westerwälder Ton ist hochplastisch, nahezu frei von Verunreinigungen und sintert schnell. Mit einem solchen Material kann man Steinzeug herstellen, also eine hochgebrannte und somit wirklich dichte, hygienische und säurebeständige Keramik.

Die Westerwälder Tone sind vor etwa 30 Millionen Jahren entstanden. Damals war Europa von einem subtropischen Regenwald bedeckt und der Westerwald befand sich geographisch in Äquatornähe. Bei der tropischen Verwitterung feldspathaltiger Gesteine entstanden Gesteinskörnchen, die von Flüssen, Bächen und dem Wind mitgenommen wurden. Die allerkleinsten Partikel von mikroskopischer Größe setzten sich in Seen und Deltas ab. Sie bildeten unsere heutigen Tonminerale.

Archäologische Funde aus der Älteren Eisenzeit (etwa 750 bis 450 v. Chr.) belegen, dass keltische Stämme hier bereits getöpfert haben. Der älteste schriftliche Nachweis von Töpferhandwerk im Kannenbäckerland stammt aus dem Jahr 1402. Ein Abbau als eigenständiges Gewerbe lässt sich bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen, als die Landesfürsten begannen, die Gruben zu „belehnen“.

Die großen Tonlagerstätten und die ausgedehnten Holzvorkommen des Westerwaldes führten dazu, dass diese Region als „Kannenbäckerland“ bekannt wurde. Durchziehende Fernhandelswege wie die Salzstraße und die Nähe zum Rhein als eine der Hauptverkehrsadern Europas, verhalfen dem Westerwälder Steinzeug zu seiner weltweiten Erfolgsgeschichte.

Viele der ausgestellten Objekte haben bereits eine lange Reise hinter sich. Manches Gefäß schaffte es sogar bis ans andere Ende der Welt. Die Anfänge aller Exponate aber liegen in einer Westerwälder Tongrube. Zurückgekehrt an den Ort ihres Entstehens bilden sie das Zeugnis des immateriellen Kulturerbes der Töpfertradition im Kannenbäckerland.

Copyright Foto: Sibelco

Copyright Foto: Sibelco


Renaissance 

Brennöfen, die erstmals Temperaturen bis zu 1200 Grad ermöglichten, lassen sich im Rheinland schon im 13. Jahrhundert nachweisen. Der älteste urkundliche Beleg für Töpferöfen in Höhr stammt aus dem Jahr 1402. Höhrer Bodenfunde aus dem 14. Jahrhundert sind stilistisch nicht von Funden aus dem Rheinland oder Mayen zu unterscheiden. Es gab also mindestens zwei alte Produktionsstandorte, von denen der Westerwald beeinflusst wurde. Einige Aspekte führten dann maßgeblich dazu, dass sich hier ein neues Töpferzentrum entwickelte: reiche Tonvorkommen von bester Qualität, ausgedehnte Holzvorkommen und Fernhandelswege.

Mit der Erfindung des Buchdrucks und dem Fall von Konstantinopel gelangte Mitte des 15. Jahrhunderts das Wissen der Griechen und Römer wieder nach Mitteleuropa. Man entdeckte die Antike neu und so bedeutet das aus dem französischen entlehnte Wort „Renaissance“ für diese Epoche „Wiedergeburt“. Man war versucht Harmonie, Einheit und Ruhe der antiken Vorbilder in die Kunst zu bringen. Auf rheinischem Steinzeug finden wir griechische Porträts oder klassische Dekorelemente wie Akanthusblätter, Rosetten und Arkaden wieder. Auch Salzglasuren lassen sich dort ab Mitte des 15. Jahrhunderts belegen. Mit der Entdeckung Amerikas, dem Humanismus und der Reformation befand sich Europa nun in einer Zeit des totalen Umbruchs.

Schlechte Arbeitsbedingungen, sowie Kriege und Nöte führten dazu, dass um 1600 zunehmend Töpfermeister aus dem Rheinland, Raeren in Belgien und Lothringen ins Kannenbäckerland abwanderten und für neue Impulse sorgten. Nachfahren dieser Zuwanderer namens Knütgen, Kalb, Mennicken oder Remy sind noch heute hier tätig. Sie brachten neue Formen und Dekore, aber auch Glasur- und Brenntechniken mit. Das Töpfergewerbe erlebte hier einen enormen Aufschwung und selbstbewusste Meister signierten gelegentlich sogar ihr Werk mit ihren Initialen.

Charakteristisch für das Kannenbäckerland war nun das graue salzglasierte Steinzeug mit kobaltblauer Farbe. Die Formen wirken durch Kanneluren, Absätze und Wülste oft kantig und der Gefäßkörper ist stark gegliedert. Dekorelemente wurden gestempelt oder als Applikationen aufgebracht. Auf gleichmäßigen Friesen wurden Kurfürsten, Bischöfe, biblische Geschichten aber auch Profanes, wie Bauerntänze oder Landsknechte, mittels Gipsmodeln abgebildet. Neben Gebrauchsgeschirr fertigte man Auftragsarbeiten, die weltweit Absatz fanden. Westerwälder Steinzeug wurde nun zu einem globalen Handelsprodukt!

Mittelalterliches bis Renaissance-zeitliches Steinzeug - Bild: Fotostudio Baumann GmbH

Mittelalterliches bis Renaissance-zeitliches Steinzeug - Bild: Fotostudio Baumann GmbH


Barock

Im westdeutschen Raum entwickelte sich die neue, aus Italien stammende Stilepoche des Barock vor allem nach den Wirren und Nöten des 30jährigen Krieges (1618-1648). Das färbte natürlich auch auf das Töpferhandwerk ab. Die Kunst und Architektur des Barock wollte nun erstaunen, märchenhaft, theatralisch und vor allem prunkvoll erscheinen. Vergessen werden sollten die bitteren Zeiten.

Im Westerwald kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Überall entstanden neue Töpfereistandorte. 1771 erreichte die Zunft im Kannenbäckerland mit 600 Meistern in 23 Orten einen Höhepunkt. Daneben gab es noch die vielen sogenannten „Schnatzer“, die aus verschiedenen Gründen nicht Meister werden konnten oder durften. Es gab nun einfach zu viele konkurrierende Kannenbäcker und die Qualität litt, was zu einem Preisverfall führte. Die Landesherrschaft sah sich genötigt eine Reglementierung vorzunehmen.

Neben dem alltäglichen Geschirr lebte man sich besonders auf Trink- und Schankgefäßen aus. Auch Zierobjekte und Figuren erschienen häufiger. Man gestaltete gerne mit Auflagen wie Rauten, Medaillons, Rosetten oder Blüten, die aufwändig einzeln hergestellt und platziert wurden. Hinzu kommen neue Verzierungstechniken wie das „Red machen“ (Linien einritzen), Knibis (Eindrücken von Mustern mit einem Holz) und Stempeldekore. Neben dem blauen Kobalt findet nun das violette Mangan Verwendung.

Produkte aus dem Kannenbäckerland waren für ihre hohe Qualität über Grenzen hinweg bekannt. Nicht selten ließ sich zahlungskräftige Kundschaft bis hin zum Hochadel Auftragsarbeiten anfertigen. Das erkennt man an den persönlichen Wappen oder Monogrammen wie „GR“ für Georg Rex (König Georg von England). Zunehmend muss man auch von einer Handwerkskunst sprechen, denn von manchen selbstbewussten Töpfermeistern finden sich Initialen, wie zum Beispiel „P R“ von Peter Remy.

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts kommen die aufwändig gestalteten Steinzeuggefäße langsam aus der Mode. Mit Porzellan, Fayence/Majolika und Steingut müssen sie zudem konkurrieren und verlieren viele zahlungskräftige Auftraggeber. Als Folge dominieren schlichtere Ritzdekore und Bemalungen mit einer Kobaltsmalte durch sogenannte Blauerinnen. Der künstlerische Aspekt tritt in den Hintergrund und man wendet sich wieder mehr dem traditionellen Gebrauchsgeschirr zu.

Produkte aus dem Westerwald - Bild: Fotostudio Baumann GmbH

Produkte aus dem Westerwald - Bild: Fotostudio Baumann GmbH


Historismus

Ab dem 18. Jahrhundert erhielt das traditionelle Steinzeug mit dem europäischen Porzellan und Steingut eine starke Konkurrenz und verlor zahlungskräftige Kundschaft. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts konzentrierte man sich gezwungenermaßen auf die handwerkliche Herstellung von grau-blauem Haushaltsgeschirr.

Im Zuge der Industrialisierung entstand ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein wohlhabendes Bürgertum, das ein hohes Bedürfnis hatte, seinen Reichtum zu präsentieren. Diese Epoche, auch Gründerzeit genannt, ist vielerorts noch anhand großzügiger Villen und reich verzierter Wohnhäuser sichtbar. Gleichzeitig fühlte man sich in der Tradition verankert und strebte durch das Studium vergangener Zeiten eine Erneuerung an. Diese Mischung aus früheren Stilen der Romanik, Gotik, Renaissance, des Barocks als auch Rokokos, unter Hinzufügung byzantinischer und orientalischer Elemente, wird heute als Historismus bezeichnet.

Immer wieder wurde ein Mangel an Fortschritt im Kannenbäckerland beklagt. Man möge doch endlich aufhören, „das Geschäft so handwerksmäßig zu betreiben“. Mit der Anstellung des Formengießers, Modelleurs und Siderolithwaren-Herstellers Reinhold Hanke aus Böhmen kam ab 1864 die erwünschte technische und künstlerische Erneuerung in Gang.

Siderolith ist ein poröses keramisches Halbfabrikat, welches in Form gegossen und erst nach dem Brand mit Lackfarben, Bronzefirnis und Vergoldung bemalt wird. Diese bunten, überreichen Ziergefäße trafen den Geschmack der Zeit. Hanke wendete seine Fähigkeiten nun auch bei der Herstellung von Steinzeug an. Mit Peter Dümler hatte er einen begabten Gestalter in seiner Firma. Ab 1872 wurden Ganzgefäßformen aus Gips, in dem ein Tonzylinder eingedreht werden konnte, entwickelt. Damit stellte Hanke aufwendige Objekte als Sonderanfertigungen her. Auf Weltausstellungen geehrt und international mehrfach ausgezeichnet, galt er als legitimer Nachfolger der alten rheinischen Steinzeugtöpfer. Kaiserin Augusta von Preußen bestellte ihn regelmäßig nach Koblenz und kürte 1876 Reinhold Hanke zum Hoflieferanten.

Der Fortschritt nahm nun seinen Lauf. Die Fabrikanten Friedrich Wilhelm Merkelbach II und Georg Peter Wick perfektionierten die industrielle Herstellung. Das sogenannte altdeutsche Steinzeug konnte als Massenware angefertigt werden. Ab 1882 führten sie mit der Elfenbeinware, ein meist bunt glasiertes Steingut, ein neues Produkt im Kannenbäckerland ein, welches von allen anderen übernommen wurde. Durch das Studium historischer Ornamente verfügten die Werkstätten über ein großes Motivrepertoire, das von einer begeisterten Kundschaft in der ganzen Welt geschätzt wurde.

In diese Zeit fällt auch die Gründung vieler bekannter Kunstgewerbemuseen. Die preußische Kunstschulreform rief drei große keramische Fachschulen ins Leben: Landshut (Niederbayern; 1873), Höhr (1879) und Bunzlau (Schlesien; 1897). Das Handwerk wurde nicht mehr nur vom Meister zum Gesellen weitergegeben, sondern nun auch wissenschaftlich behandelt.

Belegschaft der Firma Merkelbach & Wick zwischen 1890 und 1896. Archiv Heribert Fries Höhr-Grenzhausen.

Belegschaft der Firma Merkelbach & Wick zwischen 1890 und 1896. Archiv Heribert Fries Höhr-Grenzhausen.


Jugendstil

Die zunehmende Industrialisierung brachte Ende des 19. Jahrhunderts eine europaweite Bewegung hervor, die sich für das Handwerk stark machte und von den einzelnen Ländern unterschiedlich bezeichnet wurde. In Deutschland wurde diese Stilepoche als „Jugendstil“, nach der 1896 in München gegründeten Kulturzeitschrift „Jugend“, bekannt. Ziel war es, alle Künste so miteinander zu verbinden, dass durch ein ästhetisches Totalerlebnis eine neue, harmonische Welt entstehen konnte.

Einhergehend mit einem signifikanten weltpolitischen Ereignis brachte diese neue Zeit einen kurzen aber beachtlichen Aufschwung im Kannenbäckerland. Die aufstrebende Weltmacht USA hob 1853 mit Gewalt das Handelsembargo Japans nach mehr als 200 Jahren auf, wodurch im großen Stil japanische Kunst nach Europa gelangte. Ein wahres Japanfieber setzte ein. Für Keramiker waren die bis dahin unbekannten Steinzeugglasuren eine Herausforderung. Die laufenden, schimmernden Farben zeigten die Kraft der Natur und bestätigten somit die Überzeugung des Jugendstils, dass alles fließend ist.

Französischen Keramikern gelang es bereits 1889 ähnliche Oberflächen herzustellen. Forschungsinstitute, wie die Chemisch-Technische Versuchsanstalt bei der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) unter Führung des Chemikers August Hermann Seger (1839-1893), setzten alles daran, die Geheimnisse der asiatischen Glasuren und Tonmassen zu entschlüsseln.

Auf der Weltausstellung in Paris 1900 waren neben japanischer Keramik auch erste deutsche Versuche von Jakob Julius Scharvogel (1854-1938) und Hermann (1845-1913) und Richard Mutz (1872-1931) zu sehen. August Hanke (1875-1938), der in München Chemie studiert hatte, vertrat in Paris die väterliche Firma, die als Einzige aus dem Kannenbäckerland anwesend war. Im Jahr darauf zeigte Hanke auf der Leipziger Frühjahrsmesse erste chinarote Glasuren, die auch gleichzeitig die allerersten farbigen Reduktionsglasuren aus dem Salzbrand waren. Dass nach mehr als 400 Jahren nun zum ersten Mal Buntes anstelle des Grau-Blau aus einem Kannenofen kam, muss ein besonderes Ereignis gewesen sein.

Damit die Steinzeugfabrikanten nicht den Anschluss an die neue Zeit verpassten, forderte Landrat Dr. Adolf Schmidt die Regierung dazu auf, international namhafte Künstler zu engagieren. 1901 kam der belgische Universalkünstler Henry van de Velde (1863-1957) in den Westerwald und initiierte eine radikale Stilwende. Auch der Hamburger Peter Behrens (1868-1940) lieferte auf Wunsch des Landrates Entwürfe und verpasste dem traditionellen grau-blauen Dekor eine zeitgemäße Gestaltung. Einige Firmen, wie Simon Peter Gerz I, Merkelbach & Wick oder Reinhold Merkelbach knüpften selbst erfolgreich Kontakte mit renommierten Künstlern wie Richard Riemerschmid (1868-1957).

Aber nicht nur mit künstlerischen, sondern auch mit sozialpolitischen Entwicklungen mussten sich die Fabrikanten zurechtfinden. 1907 streikten die Steinzeugdreher. Der Erste Weltkrieg zog die Arbeiter an die Front und viele, wie Hans Wewerka (1888-1915), kehrten nicht zurück. In den Revolutionstagen 1918 wurde in der Firma Hanke eiligst das Hoflieferantenschild abgehängt.

Um die Existenz zu sichern stellte man weiterhin Massenware her. Vielen Kunden waren die modernen Formen zu extravagant. Nur wenige Betriebe beteiligten sich an dem Erfolg der Jugendstilkeramik.

Werbung der Firma Reinhold Hanke, mit Entwürfe von Henry van de Velde, wahrscheinlich um 1903. Archiv Keramikmuseum Westerwald


Industriekeramik aus der Nachkriegszeit

Nach der kriegsbedingten Reduzierung der Steinzeugherstellung knüpften die Werkstätten ab etwa 1950 wieder an ihre Tätigkeiten der Vorkriegszeit an und stellten vor allem Industriekeramik her. Für Kleinfamilien mit einem Durchschnittseinkommen von kaum 600 Mark war Porzellan viel zu teuer, Steinzeug aber erschwinglich. Die Westerwälder Steinzeugfabriken waren in Gestaltung und Menge maßgeblich für die Keramikproduktion der 50er Jahre zuständig. Das Geschäft florierte und sorgte für viele neue Arbeitsplätze. So stieg die Anzahl der Beschäftigten der Firma Jasba vom 1948 bis 1955 um das 6-fache. Auch die Gastarbeiter aus Italien und der Türkei arbeiteten in der Steinzeugindustrie, die sich vor allem in Ransbach-Baumbach konzentrierte.

Das Sortiment wurde nach Gebrauchsgeschirr und sogenannter Zierkeramik unterschieden. Mindestens einmal im Jahr stellten die Firmen ihre Neuheiten in Katalogen vor. Asymmetrische Vasen, Goldstaub, Kristallglaskeramik, Schrumpf- und Lavaglasuren sind typische Entdeckungen aus dieser Zeit. Manche Firmen, wie Ceramano oder Steuler, arbeiteten mit namhaften Designern zusammen und entwickelten Serien mit einem hohen künstlerischen Anspruch.

Dieses Wirtschaftswunder in der Steinzeugindustrie führte die Region in eine Ära des Wohlstandes, der bis in die neunziger Jahre anhalten sollte.

Flyer “Continua Collection” der Firma Steuler. Entwurf: Cari Zalloni

Flyer “Continua Collection” der Firma Steuler. Entwurf: Cari Zalloni


Von der Angewandten zur Freien Kunst

Jugendstilkünstler setzten Maßstäbe für das Kunsthandwerk des 20. Jahrhunderts. Sie suchten nach der Verbindung aller Künste. Die auf dieser Museumsebene präsentierte künstlerische Keramik zeigt den Übergang von der Angewandten zur Freien Kunst im 20. Jahrhundert. Diese Entwicklung verläuft kontinuierlich und ohne große Stilbrüche, denn im Gegensatz zu den Freien Künsten wird das Kunsthandwerk von den Nationalsozialisten nicht als „entartet“ entwertet, sondern gerade wegen seiner vermeintlichen Volkstümlichkeit gefördert. In nationalen und internationalen Wettbewerben bekommen Keramiker wie August Hanke (1875-1938) oder Elfriede Balzar-Kopp (1904-1983) Anerkennung für ihr traditionelles handwerkliches Können. Während des Krieges können die Öfen, die nachts wegen ihres Flammenspiels ein Angriffsziel bilden, nicht betrieben werden. Die meisten Arbeiter sind an der Front und die keramische Produktion kommt zum Erliegen. Einige wenige Firmen führen noch kriegsbedingte Produktionen aus.

In der Nachkriegszeit sichern sich die Werkstätten ihre Existenz durch Geschirrproduktion und knüpfen wieder an Formen und Dekore der 1930er Jahre an. Als sich die wirtschaftliche Lage verbessert, suchen Keramiker zunehmend nach experimentellen und individuellen Ausdrucksformen. Das keramische Gefäß löst sich aus seiner traditionellen Funktion und entwickelt sich zum autonomen Kunstobjekt. Die Form wird nach bildhauerischen Maßstäben bewertet und die Glasur als malerisches Gestaltungsmittel gesehen. Das Interesse an ostasiatischen Steinzeugglasuren, das zuerst von den französischen céramistes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekundet und im Jugendstil kultiviert wurde, bleibt groß. Außerdem hatte der Silikatchemiker Hermann Seger (1839-1893) mit seinen systematischen Forschungen wichtige technische Grundlagen für Glasurentwicklung gelegt. Die moderne Gefäßkeramik besitzt infolgedessen einen hohen Grad an technischer Perfektion. Oft stehen aufwendige Glasuren im Mittelpunkt, deren Rezepturen streng geheim gehalten werden.

Gleichzeitig entstehen – vor allem von der Drehscheibe aus – freie Formen. Gestaltungsstrategien aus den Bildenden Künsten oder der Musik, wie z.B. Montage, Wiederholung, Rhythmus oder Destruktion, werden nun auch in der Keramik eingesetzt. Walter Popp (1913-1977), der in Kassel Keramik lehrt, zerlegt in seinen Gefäßmontagen die Symmetrieachse des gedrehten Zylinders und kombiniert Grundformen wie Kegel, Zylinder oder Kugel zu neuen Formen. In Beate Kuhns (1927-2015) Plastiken reihen sich auf der Drehscheibe konzipierte Formen rhythmisch aneinander und werden von der Künstlerin zu neuen, dynamischen Organismen zusammengesetzt. Die Professorin für Keramik in Halle an der Saale, Gertraud Möhwald (1929-2002), lässt Scherben und andere Fundstücke zu monumentalen Büsten werden, die einen Bogen zur archaischen Keramik schlagen und so das kulturelle Vermächtnis des keramischen Materials betonen.

Vielfach wird die künstlerische Keramik von der Öffentlichkeit dem Kunsthandwerk zugerechnet. Keramiker, Keramiksammler und Galeristen bilden eine eigene Parallelwelt und Einzelausstellungen sind rar. Doch seit Ende des 20. Jahrhunderts ist eine wachsende Aufmerksamkeit spürbar. Die seitens der Bildenden Künste vollzogene Entgrenzung der Gattungen, wie auch eine Sehnsucht nach Sinnlichkeit und Materialität im digitalen Zeitalter, sind als Gründe für ein erneutes Interesse an der Keramik anzusehen.

Beate Kuhn: Löffelplastik, 1976. Foto: Helge Articus

Beate Kuhn: Löffelplastik, 1976. Foto: Helge Articus


Zeitgenössische Kunst

Das Material Ton, unser künstlerischer Mutterboden, ist ein fruchtbares Material, das stark in der Kulturgeschichte verankert ist und sich in vielen Richtungen einsetzen lässt. Es lässt sich kneten, drehen, verformen, aber auch stricken, schmelzen, schlagen und peitschen. Es ist ein ernstzunehmendes Gegenüber, das auf die Aktionen des Künstlers reagiert.

Die Künstler vor Ort, sei es an der Fachschule für Keramik, am Institut für Künstlerische Keramik und Glas oder in den vielen hiesigen Werkstätten, verbindet die Frage, welche Botschaften die Materialien Keramik und Glas in sich tragen und wie diese künstlerische Aussagen unterstützen können.

Auch die Kulturgeschichte des Westerwälder Steinzeugs bittet um eine künstlerische Auseinandersetzung. Was hat uns ein Ort zu sagen? Wie verhält sich unsere keramische Kultur zu anderen Kulturen? Viele Künstler gestalten mit jahrhundertalten Techniken wie dem Drehen auf der Scheibe oder dem Salzbrand neue, zeitgemäße Objekte. Gerade weil sie sich somit zum Teil der Geschichte machen, zeigt, das dieser Ort lebendig und für die Zukunft gut ausgerüstet ist. Die Geschichte ist noch längst nicht zu Ende.

Foto: Helge Articus

Foto: Helge Articus